William S. Burroughs und Jack Kerouac: Und die Nilpferde kochten in ihren Becken (2010).

 „Der Barkeeper hatte das Radio an. Ein Nachrichtensprecher brachte eine Meldung über einen Brand in einem Zirkus und sagte: „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken zu Tode.“ Er brachte diese Details mit dem für Nachrichtensprecher typischen salbungsvollen Genuss.“

William S. Burroughs/ Jack Kerouac, „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“, Verlag Nagel & Kimche, 2010

Zwar nur zu einem kurzen Auftritt, aber immerhin bis zur Titelzeile bringen es die Hippos in diesem Romanexperiment. 1944, rund zehn Jahre bevor sie mit ihren Werken als Vertreter der „Beat Generation“ berühmt  wurden, saßen William S. Burroughs, damals 30 Jahre alt, und Jack Kerouac (22) in einer Bar in New York. Im Radio wurde eine Nachricht gebracht: Ein grauenhafter Brand in einem Zirkuszelt, Menschen verloren ihr Leben, Hunderte wurden verletzt und, so der Sprecher, „die Nilpferde kochten in ihren Becken“. Der Titel war gefunden. Für ein Buch, dessen Entstehungsgeschichte so abenteuerlich ist wie sein Plot. Nilpferde spielen in diesem Krimi, der mit seiner „monochromen, urbanen Atmosphäre sexuell gewagt und stilistisch hardboiled“ ist (so Douglas Kennedy 2008 in der Times), übrigens dann keine weitere Rolle.

Kerouac und Burroughs verarbeiteten einen Totschlag, der in ihrem weitgespannten Bekanntenkreis tatsächlich geschah, in einen Krimi à la Chandler und Hammett. Abwechselnd schrieb jeder ein Kapitel, der gegenseitige Vorantrieb ist festzustellen.

Das Manuskript blieb jedoch lange unveröffentlicht – erst mangels Verlag, dann aus Rücksicht auf die Hauptperson: Lucien Carr. Er ist im Roman der junge Mann, der seinen langjährigen Freund, Mäzen und Geliebten aus Überdruss und in einer Überreaktion ersticht. Carr machte später als Journalist Karriere, brachte es bis zum Nachrichtenchef der United Press. Er starb 2005. Der Nachlassverwalter von Burroughs, James W. Grauerholz, hatte ihm zugesichert, das Buch erst nach seinem Tod erscheinen zu lassen.

„Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“ vereint von beiden Autoren bereits das, was sie später auszeichnen sollte: Atemlosigkeit des Stils, trotzdem Nüchternheit in der Beschreibung selbst absurdester Szenen, der Mut zu Bildern, die bis dato in der amerikanischen Literatur noch nicht häufig zu finden waren. Immer in Fahrt und auf der Suche nach dem nächsten Kick die beiden Hauptfiguren. Auch ein Buch über Freundschaft (Männerfreundschaft), Zusammenhalt und Lebenslust.

Die Koordinaten, so Julia Encke in der FAZ: „Radio und Kino, die Hafenbars, ihre Wohnungen - und die Straßen von New York in den vierziger Jahren. Burroughs und Kerouac erzählen die Tage vor der Tat; wie Will Dennison, Barmann mit Verbindungen in die Unterwelt, und der Seemann Mike Ryko mit ihren Freunden ihre Zeit verbringen: Da sieht Phillips Freundin Barbara ein wenig aus wie die österreichische Schauspielerin Hedy Lamarr; ein Kommilitone sondert ständig „Noël-Coward-Dialoge“ ab; das spanische Restaurant an der Eigth Avenue ist „ein Laden, der ,mañana‘ ist“, und im „Automatenrestaurant“ an der 57th Street gibt es Bohnen mit Bacon. In der Union Hall am Hafen stehen Bücherstände, an denen Werke wie Woody Guthries „Bound for Glory“ und Roi Ottleys „New World A-Coming“ zu kaufen sind; durchgeknallte Journalisten führen sich im „George’s“ furchtbar auf, glauben, sie wären wer, weil sie für den „Saturday Evening“ schreiben.“

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Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

30 thoughts on “William S. Burroughs und Jack Kerouac: Und die Nilpferde kochten in ihren Becken (2010).

      1. Interessant. Kannte ich bis dato noch nicht. Da es sich um ein frühes Buch von WSB handelt, könnte ich mir vorstellen, dass es lesbar ist. Sein Frühwerk „Junkie“ über seine Drogensucht ist auch konventionell im Vergleich zu dem späteren, durchgeknallten, unverdaulichen Zeug.
        Viele Grüße + Danke für den Beitrag!

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      2. Es ist lesbar, und sogar gut lesbar. Ja, die späteren Sachen von Burroughs: Zum Lesen eher harte Brocken, als Literaturexperimente aber bahnbrechend. Interessant ist an den Beat-Leuten für mich meist sowieso eher die Verbindung leben und Werk (auch wenn das für manche oberflächlich klingt).

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    1. Es sind keine Romane - schärfte Burroughs seinem Verleger immer wieder ein. Trotzdem hat man die „Cut-Up-Trilogie“ und auch „Naked Lunch“ immer wieder so bezeichnet – Aber was sonst: Sucht-Anekdoten, Fantasien, satirische Attacken gegen Heuchelei in Wissenschaft, Politik und Business - oder Reisen in einen inneren Kosmos unter dem Einfluss von Drogen … ?

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  1. Dass man aus Rücksicht 50 Jahre lang mit einer Veröffentlichung wartet - da zeigt sich mal wieder (und mal anders): Literatur ist geduldig. Kerouac und Burroughs gemeinsam, darauf lohnt sich allerdings auch zu warten! (Habe für nächste Woche in meiner Beitragswarteschleife schon den Lonesome Traveller. Ab und an ein wenig abseitiges Abenteuer tut gut, da ist Kerouac einfach zeitlos.)

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    1. Nun, das Warten auf das Buch lohnte sich sicher…war es doch sozusagen ein „Jugendwerk“, das zeigt, dass Burroughs auch ganz klassisch (und stringent) schreiben kann. Die Umstände des Wartens sind natürlich …hm, ein wenig anrüchig. Aber waren halt harte Jungs, die Herren…

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      1. Ja, tatsächlich gehört Burroughs zu einer Kategorie von Leuten, vor denen ich im Grunde eine Menge Angst habe. Allein diese Zeit auf der Farm in Texas, als durchgeknallter Morphinist, mit ebenso süchtiger Frau und dazwischen noch zwei Kinder - zufällig eine Frau erschossen, aber wer weiß wie viele Andere nur zufällig nicht erschossen. Puh. In derlei Abgründen stecken viele - was Borroughs aber wahrhaft beängstigend für mich macht, ist dass er so klar darüber schreiben konnte und bei diesem Lebenswandel auch noch über 80 wurde.

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      2. Die Wilhelm-Tell-Geschichte ist schon heftig…um es mal so verharmlosend zu sagen. Aber ein Unfall im Drogenrausch.
        Gleichzeitig war er aber wohl auch Waffenfan und hatte manchmal auch recht ultrakonservative Ansichten. Und dann wieder Katzenliebhaber.
        Alles in allem: Keine eindimensionale Person, eher ein Mann mit vielen Gesichtern? Ich müsste/wollte, wäre die Zeit denn da, auch noch mehr über ihn lesen. Beängstigend finde ich ihn jetzt weniger, aber rätselhaft.

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    1. Na, gekackt haben die vor Todesangst sicher auch. Das kommt davon, wenn man zuviel Dirty Old Man liest:-)
      Wegen des Anfangens mit den Beat Leuten - ich bin da ja keine Fachfrau. Klar, „On the Road“ ist sicher ein Einstieg, aber Kerouac schreibt da ja eher konventionell im Vergleich zu den Sachen von Burroughs - jener wollte auch gar nicht, dass man Werke wie „Naked Lunch“ als „Roman“ bezeichnet, es ist eher ein literarisches Experiment…Wenn Du chronologisch vorgehen willst, dann kannst du mit den Nilpferden anfangen - das ist wirklich gut zu lesen, eben stilistisch auch eher konventionell, und führt schon ein wenig in die ganze Lebensweise und Auffassung der beiden Herren ein. Dann „On the road“ sowie die weiteren Kerouac-Sachen, an Burroughs muss man sich, denke ich, auch schrittweise annähernd. Und Ginsberg nicht vergessen.

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  2. Mir sind neulich ein paar Kurzgeschichten von Kerouac in die Hand gefallen, und haben mich begeistert. Zeit mal wieder Kerouac zu lesen, dachte ich. Aber On The Road wollte ich nicht wieder herauskramen. Da kommt mir deine Empfehlung gerade Recht. Vielen Dank!

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