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#VerschämteLektüren (19): Wie der krasse Grass einen Leser zur Beschämung trieb

300Verschämte Lektüren bedeutet nicht unbedingt, dass man die Bücher im Regal weit hinten vor den Augen der Besucher versteckt. Manchmal geht es auch anders herum: Man versteckt sich vor dem Buch. Weil es einen aus dem Regal her angrinst - aber man es einfach nicht leiden mag… Oder weil man vom Autoren viel hält, ihn verehrt, aber dieses eine Buch so fürchterlich daneben ging… Das ist dann literarisches Fremdschämen sozusagen. Von so einem Fall handelt dieser Beitrag. Denn so erging es jedenfalls Marc, der sonst von sich wie von seinem Blog sagt: “lesenmachtglücklich”.

Marc ist so nett und stellt sich gleich selbst vor:
Da es um Literatur geht, möchte ich mich auch mittels bestimmter Werke und Autoren näher bringen, ohne Wertigkeit versteht sich. Also, meinen Vornamen habe ich vom Twain entliehen, allerdings, um nicht aufzufallen, wurde er mit einem c am Ende versehen. Nicht weiter schlimm, so taucht man eben unter. Die Zeit, von der “Der Turm” (der von Tellkamp, nicht Stephen King) erzählt, habe ich als kleiner Zwerg erlebt und kann da nur insofern mitreden, dass ich zu besagter Zeit, zu der dieser Roman spielt, in dieser Region gelebt habe. Nach Stationen Schule (auch Lessing trieb sich früher da rum) und Studium (Uwe Tellkamp hat hier ebenfalls studiert, nur war es bei mir stattdessen Maschinenbau) hat es mich mittlerweile in die Region verschlagen, in der der Verlag “ars vivendi” sein Unwesen treibt und diverse regional verwurzelte und überregionale Literatur veröffentlicht. Soviel zu meiner Person und ansonsten lasse ich gerne meinen Blog sprechen, schaut einfach auf www.lesenmachtgluecklich.wordpress.com vorbei.

Marcs verschämte Lektüre:

Es gab mal einen Autor im Nachkriegsdeutschland, der das heiße Eisen „Aufarbeitung der Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges“ in die Hand nahm und mit „Die Blechtrommel“ erfolgreich in die Tat umsetzte. Dazu muss ich noch ein wenig weiter ausholen, denn es liegt schon einige Jahre zurück, dass ich mich diesem Autor widmete. Es begab sich also zu meinen Schulzeiten, das war noch in grauen Vorinternetzeiten Mitte/Ende der 90er, als unser Deutschlehrer in der Sekundarstufe II die Wahl überlassen hatte, ein Buch aus seinem ganz persönlichen Kanon vorzustellen. Da waren viele illustre Werke dabei, doch keines sprach mich mehr an als die eingangs erwähnte Geschichte um Oskar Mazerath. Es war eines der wenigen, die übrig blieben. Warum ich mir ausgerechnet diesen dicken Wälzer ausgesucht habe, weiß ich bis heute nicht, aber es war das einzige, welches mich interessierte. So nahmen die Dinge ihren Lauf und ich entdeckte Günter Grass für mich. Das Buch musste ich aus unterschiedlichsten Gründen (zum Glück) nicht vorstellen, aber das gab dem Lesegenuss noch mehr Vorschub. Bis heute habe ich dieses Werk schon dreimal gelesen und finde es jedesmal aufs Neue interessant und faszinierend. Doch um der Rubrik auf meine etwas verquere Logik gerecht zu werden, will ich ehrlich sein: Oh Wunder, um dieses Buch geht es gar nicht.

Ich begann eine etwas innigere Beziehung mit dem Werk von Günter Grass, der als Schüler nicht gerade der Autor ist, den man gerne liest. Und - keine Sorge, ich habe mich auch der Trivialliteratur zugewandt gefühlt, aber seltsamerweise hat es mir Grass voll krass angetan (ich liebe dieses Wortspiel). Lange Rede kurzer Sinn, ich verschlang seine Danziger Trilogie (die steht immer noch sehr prominent bei mir zu Hause im Wohnzimmer und fleht mich jedes Mal an, sie wieder aufzuklappen); verspeiste den Butt und ging mit der Rättin spazieren. Doch dann kam der unglückselige Tag, an dem ich mich dem Werk „Ein weites Feld“ zuwandte, welches mein erstes Buch in meinem Leseleben werden sollte, dessen Lektüre sich über Monate hinzog. Dass ich es nicht abgebrochen habe, liegt wohl eher daran, dass ich der Typ Leser bin, der einfach zu Ende liest, was er begonnen hat und nicht, weil mich die literarische Qualität abschreckt oder das Werk langweilig ist, abbricht. Ich habe keine weitreichenden Erinnerungen mehr an dieses Buch, außer dass es sich sehr, sehr, sehr zäääääääääääh in die Länge zog und ich mir geschworen habe, es Marcel Reich-Ranicki gleich zu tun, dessen Bild vom Spiegel sich mir in Verbindung mit diesem Buch ins Gedächtnis gebrannt hat (siehe hier der Link zum Spiegel-Artikel von MRR). Zerrissen habe ich es nicht und auch nicht weggegeben, doch verstanden habe ich es bis heute nicht. Es steht immer noch bei mir im Bücherregal und grinst mich immer, wenn ich daran vorbeigehe, hämisch an und sagt lachend zu mir, wann ich mich denn mal wieder quälen möchte. Ich lass es dann links liegen, gehe verschämt (im Sinne von, warum ich das Buch denn überhaupt noch im Buchregal lasse) vorbei und lasse es so lange lachen, bis es sich dieses hicksend verkneift. Damit bleibt nur als Schlussfazit: Bücher und wie sie sich im Kopf festsetzen, sind ein weites Feld. Heute Abend gehe ich wieder meine Regalreihen entlang und ich fürchte schon jetzt wieder das Kichern, dass in meinem Rücken zu einem Gelächter anschwellen wird, um mir zu zeigen, dass ich dieses Werk immer noch nicht entsorgt habe. Fange ich heute vielleicht an, darin zu lesen? Oder verdrücke ich mich wieder in die hinterste Ecke meines Zimmers und halte mir die Ohren zu?

P.S.: Zum Glück konnte ich mich mit Herrn Grass ein wenig später mit „Mein Jahrhundert“ wieder versöhnen.

P.P.S.: Nicht das ich die Rubrik falsch verstanden habe, aber um Missverständnissen vorzubeugen, habe ich für mich persönlich den Begriff „verschämt“ etwas freier interpretiert.

Hier geht es zum Blog lesenmachtglücklich:
http://lesenmachtgluecklich.wordpress.com/

PS - Ergänzung durch Sätze&Schätze: Das Buch - nicht zuletzt auch nach der Kritik durch MRR im Spiegel - löste nach seinem Erscheinen eine politische Diskussion aus und führte zu einer literarischen Fehde zwischen Autor und Kritiker, die jahrelang anhielt. Auch sieben Jahre später wechselten die Beiden darüber nur mediale Noten: http://www.spiegel.de/kultur/literatur/reich-ranicki-an-grass-ich-muss-sie-noch-einmal-belehren-a-217611.html.

Auch das Spiegel-Titelbild blieb nicht unumstritten - ein handfester Verriss mit Folgen.

Dies ist nun die letzte #VerschämteLektüre für 2014. Wer Lust hat, in dieser Reihe auch im neuen Jahr aus dem Nähkästchen seiner literarischen “Sünden” zu plaudern, der maile an die Blog-Adresse [email protected]!

6 Comments »

  1. Hallo Birgit, vielen Dank, dass du meinen Beitrag noch in diesem Jahr mit rein genommen hast. So, wie er jetzt ist, passt er doch recht gut 😉
    Musste allgemein schon so einige Male schmunzeln bei den verschämten Lektüren. Ich finde, diese Reihe schreit nach Fortsetzung in 2015.
    Dann nutze ich das gleich mal und wünsche schöne Weihnachten, einen guten Rutsch und das man sich auch im neuen Jahr blogtechnisch über den Weg läuft.
    Liebe Grüße, Marc.

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