Nathaniel Hawthorne: Das Alte Pfarrhaus (1846).

Bild: Rose Böttcher

„Wenn ich schon von Sommerkürbissen rede, muss ich auch ein Wort über ihre schönen und mannigfaltigen Formen verlieren. Sie boten eine endlose Vielfalt an Urnen und Vasen, flachen oder hohen, gebogenen oder schlichten, nach Mustern geformt, wie sie sich ein Bildhauer als Vorlage nehmen sollte, zumal Kunst niemals etwas Anmutigeres erfinden konnte. An die hundert Kürbisse im Garten wäre es – zumindest in meinen Augen – wert gewesen, in unverwüstlichen Marmor verwandelt zu werden.“

Von 1842 bis 1845 lebt Nathaniel Hawthorne mit seiner frisch angetrauten Ehefrau, der Malerin Sophia Peabody, im alten Pfarrhaus von Concord, Massachusetts. Für ihn das „Paradies der kleinen Dinge“ (https://saetzeundschaetze.com/2014/05/18/sophianathaniel-hawthorne-das-paradies-der-kleinen-dinge/). Doch dann muss das Ehepaar das Haus verlassen, weil sich Mietschulden angehäuft haben. Dennoch wird der Schriftsteller sein Leben lang an diese Zeit als eine glückliche zurückdenken. 1846 erscheint ein Band mit Erzählungen („Mosses from an old Manse“), dem als Einleitung der Text „The Old Manse“ vorangestellt ist. Ein autobiographisches Essay, in dem sich Hawthorne nochmals an den Ort zurückversetzt, an dem er ein relativ sorgenfreies, befreites Leben führte. Der Text „Das alte Pfarrhaus“ erschien in der Übersetzung von Karl-Heinz Ott beim Hoffmann und Campe Verlag. Ott schreibt in seinem Nachwort:

„Dass Hawthorne damit, wie er in seinen Briefen an Duyckinck immer wieder behauptet, so viel Mühe gehabt haben soll, merkt man ihr allerdings nicht im Geringsten an. Denn so gelöst und entspannt wie dieser Text klingen seine Erzählungen nur selten, und die meisten von ihnen sind auch weit dunkler eingefärbt und ohne ein solches Leuchten, bei dem die Wolken am Himmel vor allem dazu dienen, dass die Konturen schärfer hervortreten und alles, was in der Sonne liegt, in umso herrlicherem Licht erstrahlt.“

Überwältigende Landschaftsschilderungen gepaart mit philosophischen Betrachtungen, die jedoch „nie ins Abstrakte abdriften“: Der wenige Seiten lange Text, eigentlich „nur“ als Vorwort gedacht, ist ein kleines Juwel, in dem Hawthorne seine Stärken auspackt – und zu diesen gehören neben den philosophischen Reflexionen durchaus auch satirische Töne. Beispielsweise wenn er über die ungewöhnliche Anhängerschaft schreibt, die sich in Concord, damals Zentrum der amerikanischen Transzendentalisten, versammelt:

„Nie wurde eine kleine Landgemeinde von so vielen seltsamen, merkwürdig gekleideten Sterblichen überfallen, von denen die meisten mit dem wichtigtuerischen Gefühl auftraten, Agenten des Weltgeschicks zu sein, auch wenn sie die reinsten Langweiler waren. Genau so stelle ich mir die gleichbleibende Art von Leuten vor, die sich so dicht wie nur möglich um einen originellen Denker drängen, um von ihm noch den unmerklichsten Atemhauch zu erhaschen und sich mit unechter Originalität aufzupumpen.“

Gemeint ist mit dem Denker Ralph Waldo Emerson, dessen Großvater das Pfarrhaus als Ortsgeistlicher erbaut hatte. Emerson selbst schrieb darin seinen Essay „Natur“. Später dann bezog Hawthorne mit seiner Frau für wenige Jahre dieses Haus, das so selbst literarische Berühmtheit erlangte. 1845, als die Hawthornes Concord verlassen musste, baute sich zudem Henry David Thoureau seine berühmte Blockhütte in den Wäldern bei Concord, die 1854 in „Walden“ verewigt wurde. Aus Sicht der amerikanischen Literaturgeschichte wurde die Kleinstadt in Massachusetts zu einem einmaligen Geisteszentrum.

Hawthorne wäre aber eben nicht Hawthorne, hätte er nicht einen ganz speziellen Blick auf seine Zeitgenossen: Selbst immer Einzelgänger, grenzt er sich auch gegenüber den philosophischen Ansätzen von Emerson und Thoureau ab, setzt Natur und Kultur, Stadt und Land nicht als Gegensatzpaare, versucht Naturverbundenheit mit den Errungenschaften der Zivilisation in Einklang zu bringen. Zugleich aber stellt er sich dem ständigen Expansionsdrang seiner jungen Nation entgegen, weist auf die Bedeutung gewachsener Werte (auch diese durch die Natur repräsentiert) hin. Hawthorne, inmitten der Transzendentalisten in Concord, ist und bleibt unter Utopianern ein Realist. Karl-Heinz Ott in seinem Nachwort, das den Essay überaus bereichert und aufzeigt, warum er auch heute noch so lesenswert ist:

„Hawthorne erweist sich im Alten Pfarrhaus nicht nur als eindrücklicher Stimmungsmaler, sondern auch als ein Erzähler, der aufs Grundsätzliche geht. Die Entgegensetzung von Natur und Kultur, entfremdeten und befreitem, authentischem und defektem Leben prägt unsere Denk- und Vorstellungsmuster bis heute. Dass sich die scheinbare Evidenz solcher Gegensätze Setzungen verdankt, die alles andere als frei von dogmatischen Prämissen sind, führt Hawthorne mit einer Anschaulichkeit vor, in der mehr Philosophie steckt als in so mancher klugen Abhandlung. Das als Vorwort konzipierte, über ein bloßes Vorwort weit hinausreichende Alte Pfarrhaus gehört nicht nur zum Schönsten, was er je geschrieben hat, es bleibt auch so lange gegenwartsnah, wie es Auseinandersetzungen darüber geben wird, was man als wahre Natur und wünschenswertes Leben anzusehen hat.“

Zurück zur Natur – nicht als alleinseligmachende Lösung, zumal sowieso eine naive Utopie. Aber Wertschätzung der Natur – das ist es, was Hawthorne vermittelt in seinen wunderbaren Landschaftsbeschreibungen. Die Natur hören:

„Nach und nach nimmt dann die äußere Welt eine herbe Strenge an. Eines Oktobermorgens liegt dichter Raureif auf dem Gras und entlang der Zaunspitzen, und schon bei Sonnenaufgang fallen in der Allee von den Bäumen Blätter, ohne jeden Windhauch, allein durch ihr eigenes Gewicht. Den ganzen Sommer lang haben sie wie das Rauschen des Wassers geflüstert, und während die Äste mit den Sturmböen rangen, haben sie laut gebraust; sie ließen eine ebenso fröhliche wie feierliche Musik erklingen; und als ich unter dem Bogen ihrer verschlungenen Äste hin und her schritt, haben sie meine Gedanken auf ihren leisen Klang eingestimmt.“

Link zum Buch beim Verlag:
http://www.hoffmann-und-campe.de/buch-info/das-alte-pfarrhaus-buch-2406/

Verfasst von

Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

4 thoughts on “Nathaniel Hawthorne: Das Alte Pfarrhaus (1846).

    1. Danke Dir! Wobei das Buch selbst ja nur geschriebene Herbstfarben zu bieten hat - noch schöner wäre es, enthielte es einige Bilder der Landschaft und des Pfarrhauses, das ja immer noch zu besichtigen ist…vielleicht lässt sich da ein Verlag mal was dazu einfallen!

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