John Kennedy Toole: Die Verschwörung der Idioten (1980).

„So gesehen bewahren mich allein schon die Ausmaße meiner Physis davor, wirklich in die tiefsten Niederungen unserer Zivilisation hinabzusinken. (Ich bin übrigens nicht der Meinung, dass man ganz bis nach unten sinken muss, um zu einer persönlichen Sicht unserer Gesellschaft zu gelangen. Anstelle der vertikalen Abwärtsbewegung würde ich eher ein seitliches Abdriften an die Peripherie empfehlen – so gewinnt man zwar ebenfalls den Abstand zum Epizentrum, der für ein ordentliches Fokussieren nach den Gesetzen der Optik unabdingbar ist, aber man muss doch nicht auf sämtliche Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichten. Meinem geneigten Leser wird schon aufgefallen sein, dass ich es mir genau dort schon recht gemütlich eingerichtet hatte – am äußersten Rand unserer Zivilisation -, als mich die schon mehrfach erwähnte Trunksucht meiner Mutter mit einem Schlag ins hektische Gewimmel zeitgenössischen Lebens zurückkatapultierte. Ehrlich gesagt ist es mit mir seither nur noch bergab gegangen. Meine platonische Flamme Minkoff hat sich von mir abgewandt, und auch meine Mutter, die doch die Ursache allen Übels ist, beißt schon die Hand ihres Ernährers. Mein Glücksrad dreht sich immer weiter abwärts. O Fortuna, Du launenhaftes Weib!).“

John Kennedy Toole, „Die Verschwörung der Idioten“, Neuübersetzung durch Alex Capus, 2011, Klett-Cotta Verlag

Das Zitat gibt eine Ahnung von der schillernden Persönlichkeit, die durch diesen Roman wabert, watschelt, walzt. Ignaz ist ein wortgewaltiges und arbeitsscheues Riesenbaby.
Ein Schwergewicht an Körper und Gequatsche. Er quatscht alle nieder – bis in den Ruin.
Seine Mutter ist die Best(i)e. Ein Dream-Team, das eine Spur der Zerstörung hinter sich lässt.

So saukomisch der Roman, so dramatisch die Geschichte dazu. Autor John Kennedy Toole hatte auch im echten Leben eine, wie es Alex Capus in seinem Nachwort ausdrückt, „narzisstisch gestörte Anakonda von einer Mutter“. Den Roman klopfte er in einem Wahnsinnstempo 1963 während seiner Militärzeit in die Schreibmaschine. Zielvorstellung des Autors: Berühmt werden, Geld machen, sich von Mutters Schürzenzipfel lösen. Klappte alles nicht. Zwar fand Kennedy Toole einen Verlag, der sich des Manuskriptes annahm – aber nach all den vorgeschlagenen Kürzungen wäre das Buch in seinen Augen nicht mehr dasselbe gewesen. Das Tragische daran: Straffungen hätten dem Roman, der in den Ergüssen seines Helden auch seine Längen aufweist, durchaus gut getan.

Doch John Kennedy Toole gab im wahrsten Sinne des Wortes auf – er sperrte das Manuskript in eine Schublade, schnappte sich einen 67er Chevrolet Chevelle und verschwand im Januar 1969 ohne ein Wort. Zwei Monate später fand man Chevrolet und Fahrer an einer Landstraße zwischen Biloxi und New Orleans – er hatte seinem Leben ein Ende gesetzt.

Die Pointe: Die anakondische Mutter fand Jahre später das Manuskript – und setzte tatsächlich dessen Erscheinen durch. Sie erreichte das, was dem von ihr deformierten Sohn nicht gelungen war. Das Buch wurde 1980 veröffentlicht, erhielt 1981 den Pulitzer-Preis und wurde zum Kult. Dies vielleicht auch bedingt durch seine dramatische Geschichte, aber ebenso sehr durch die Respekt- und Tabulosigkeit, die das Buch von Seite zu Seite zeigt. Nichts entgeht den Tiraden des Ignaz, einer vollschlankeren Version seines Schöpfers: Homosexuelle, Linke, Konservative, Rednecks, Arbeiter und Fabrikanten, Hosenschneider und Würstchenverkäufer, alle bekommen ihr Fett ab. Die Unterhaltungskraft dieses Buches liegt, trotz seiner Längen, in der subversiven Lust, mit der sämtliche politischen Korrektheiten unterminiert und in Grund und Boden gequatscht werden.

Hier gibt es eine Leseprobe: http://www.klett-cotta.de/buch/gegenwartsliteratur/die_verschwoerung_der_idioten/16004#buch_leseprobe

17 Gedanken zu “John Kennedy Toole: Die Verschwörung der Idioten (1980).

  1. Wie gut, dass es Sätze & Schätze gibt. Dieser Titel steht mit einem dicken Fragezeichen auf einer jener Schmierzettellisten, die sich auf meinem Schreibtisch so gerne vermehren. Jetzt erhält das Fragezeichen die Freiheit, zu einem Ausrufezeichen zu werden.

  2. Ja, Wahnsinn, Birgit! Ich werde selbst womöglich nur hineinschmökern, aber ich habe eine Freundin, die - so scheint mir - genau dieses Buch gerade jetzt gut gebrauchen kann. Danke für die rasant-plastische Rezension!

    1. Oh, ich hoffe, Deine Freundin findet Gefallen - also, ich hab mich teilweise gekringelt vor Lachen, weiß aber, dass die Art Humor nicht jedermanns( fraus) Sache ist…bin gespannt, was sie meint! Schönes Wochenende wünscht Dir Birgit

  3. Was für ein seltsamer Zufall, das ich gerade drüben auf Philea’s Blog zum Thema Wiederlesen an dieses Buch denken musste und es dann hier bei Dir besprochen finde! Ich fand es fantastisch, als ich das erst mal in der Bücherei darüber stolperte. 20 Jahre später habe ich es mir dann antiquarisch besorgt, aber das Wiederlesen war kein Vergnügen. Nicht mal, weil ich es schlecht fand, nur diesen Ignaz fand ich ganz unerträglich, er ging mir so auf die Nerven, wie eine echte Person. Das eine ausgedachte Person das kann, spricht eigentlich eher für das Buch. Ich war dann aber trotzdem so unhöflich und habe ihn vor die Tür gesetzt.

  4. schon allein über die Ironie des Schicksals zu lesen, die bei diesem Buch eine Rolle spielt, war unterhaltsam, natürlich hat mich aber auch das “wortgewaltige und arbeitsscheue Riesenbaby….ein Schwergewicht an Körper und Gequatsche” sofort in seinen Bann gezogen!
    LG und ich bin froh, dass es regnet und ich über Mittag frei habe und ein bisschen länger zum Lesen komme! Birgit

  5. Der äusserste Rand unserer Zivilisation, ja der kann durchaus seine interessanten Seiten haben. Wenn ich das so lese, überlege ich, ob ich den Roman nicht einfach auch noch mal in Deutsch lese irgendwann….

    Es sollte ohnehin mehr gelacht werden … :)

    1. Mir fehlt dafür noch die Lektüre des amerikanischen Originals. Hier wäre telepathischer Lektüreaustausch praktisch (Lesen kostet doch so furchtbar viel Zeit :-) ).

      Zum Lachen: Ja. Aber ich mag eben nicht diesen “goldenen” Humor = platt, sondern das hintersinnige und/oder auch das leicht zynische wie bei Kennedy Toole. Dieses, das einem dann doch ein wenig im Hals stecken bleibt…

      Also, eine Anwärterin für eine Lach-Yoga-Gruppe wäre ich wohl nicht!

      Ich wünsche Dir einen Tag mit viel :-) :-) :-)

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