Anna Mitgutsch: Die Welt, die Rätsel bleibt (2013).

In ihrem Essayband „Die Welt, die Rätsel bleibt“ (2013) kreist Anna Mitgutsch um Möglichkeiten und Grenzen der Sprache.

7 Kommentare
Augsburg (14)
Bild: Birgit Böllinger

Kann man mit Sprache das Unsagbare benennen?“

Anna Mitgutsch ist Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin. Ich kannte bisher nur ihre belletristische Seite – von ihren Romanen hatte ich „Die Züchtigung“ und „Familienfest“ gelesen. Die Züchtigung ist ein Buch, das einen lange nicht loslässt. Siehe hier die aktuelle Besprechung bei den Schreibtischmetamorphosen: Rezension „Die Züchtigung“Familienfest“ handelt von einer jüdischen Familie in den USA und das Ringen um ihre Identität. Anna Mitgutsch ist eine Schriftstellerin mit einer klaren, leisen, streckenweise auch sehr lyrischen Sprache.

Ein Stil, den offenbar auch die Wissenschaftlerin pflegt. Das ist einerseits erfreulich: Da ist keine, die dem Leser meint, die Welt erklären zu müssen. Da ist eine, der die Welt ebenso ein Rätsel bleibt, dem sie sich fragend, fast schon zögerlich annähert. Wo andere Statements abgeben, wirft Anna Mitgutsch Fragen auf: Das ist das Kennzeichnende ihres Essaybandes „Die Welt, die Rätsel bleibt“, der 2013 beim Luchterhand Literaturverlag erschienen ist. 17 Essays, in vier Kapitel gegliedert: Schriftstellerportraits, Literatur, Transzendenz, Fremdsein. Schon die letzten beiden Kapiteltitel verdeutlichen: Nichts erschließt sich der Grazerin auf den ersten Blick, die Welt ist kein offenes Buch.

Diese Qualität, die Fähigkeit, Fragen zu stellen, statt Antworten vom Band zu liefern, macht die Wissenschaftlerin aus. Es macht dem Leser das Buch jedoch auch den Zugang mitunter schwer. Gerade dort, wo man eventuell konkrete Informationen erwartet, also bei den Schriftsteller-Portraits, werden so viele Fragen aufgeworfen, dass ab und an das Ziel, die Absicht des Portraits hinter den Fragen verschwindet. So in dem „nachgetragenen“, also fiktiven Brief an Sylvia Plath, der die Abgrenzung zwischen Kunst und Leben zu ergründen versucht. Übrigens ist jedem Beitrag eine Frage als Leitmotiv vorangestellt.

Anna Mitgutsch versucht also nicht, mit Sprache das Unsagbare zu benennen, aber sie unternimmt den Versuch, die Welt der Literatur, der Sprache, der Philosophie etwas zu enträtseln. Besonders stark, informativ und detailreich sind in diesem Essayband die Beiträge über jüdische Literatur und Literaten sowie der Essay „Die Grenzen der Integrität - Überlegungen zur Situation der Künstler und Schriftsteller in totalitären Diktaturen“. Allein ihre Gedanken über den umstrittenen Begriff der „inneren Emigration“ lohnen die Lektüre dieses Buches schon.

Zitat:
„Der Emigrant Hans Sahl nennt die Zeit von 1933 bis 1945, die Zeit von Verfolgung und Flucht, die Zeit der Diktatur und des Zivilisationsbruchs, eine Geschichte vom Leben und Sterben einer Kultur.“

Aus dem Inhalt: Essays unter anderem über Elias Canetti, Paul Celan, Emily Dickinson, Franz Kafka, Imre Kertesz, Herman Melville, Amos Oz, Sylvia Plath, Rainer Maria Rilke, Marlen Haushofer, Isabella Stewart Gardner, und andere.

Über die Autorin: Anna Mitgutsch wurde in Linz geboren. Sie unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und amerikanischen Universitäten, lebte und arbeitete viele Jahre in den USA. Sie erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Solothurner Literaturpreis.

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 416 Seiten, Luchterhand Literaturverlag, ISBN: 978-3-630-87418-0, € 19,99

Link zur Leseprobe beim Verlag: http://www.randomhouse.de/Buch/Die-Welt-die-Raetsel-bleibt/Anna-Mitgutsch/e437891.rhd?mid=4&serviceAvailable=true&showpdf=false#tabbox

7 comments on “Anna Mitgutsch: Die Welt, die Rätsel bleibt (2013).”

  1. Auf der Seite des Verlags findest Du noch eine Leseprobe sowie eine kurze Einführung etc.:

    Wo der Sprache die Worte fehlen, da beginnt die Literatur

    Der Literatur ist die Sehnsucht nach dem Unsagbaren und der Grenzgang zwischen Sprache und Schweigen nicht auszutreiben. Ihre besten und bleibendsten Werke wissen um die Grenze des Sagbaren und nähern sich doch mit Vehemenz immer wieder den Mysterien des Lebens. Wie Literatur das tut, dem versucht Anna Mitgutsch in diesem Band nachzugehen. Ihre Essays reichen von der Bedeutung des Horizonts und des Schweigens in der Kunst über den Zivilisationsbruch der Shoah bis zu den Themen Heimat und Fremde, Exil und Emigration, Freiheit und Macht. Sie berühren Literatur ebenso wie Philosophie und Religion.
    Link:
    http://www.randomhouse.de/Buch/Die-Welt-die-Raetsel-bleibt/Anna-Mitgutsch/e437891.rhd?mid=4&serviceAvailable=true&showpdf=false#tabbox

    Reflexionen über den Stand unser Kultur heute bietet das Buch auch in dem Essay „Die Welt ist voller Bilder…“

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  2. Danke für die Rezension, das Buch werde ich mir wohl selbst zu Weihnachten schenken. Ich mag Anna Mitgutsch sehr gerne, habe bereits eine Hausarbeit über sie geschrieben und sie live bei einer Lesung erleben dürfen. Sie ist sehr bedacht und hat auf mich einen unheimlich klugen und intelligenten Eindruck gemacht. Danke für die schöne Vorstellung! 🙂

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    1. Gerne…persönlich erlebt habe ich sie leider noch nie, aber ich habe auch aus diesem Buch erneut den Eindruck gewonnen, dass sie - wie Du schreibst - jemand ist, der bedacht vorgeht - nicht schnell urteilend, sondern intelligent überlegend. Und davon wünschte man sich mehr Menschen in unserer schnelllebigen Meinungsgesellschaft…

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  3. Danke, das macht wirklich Lust mal wieder eine Monographie zu lesen. Bei der sezierenden Genauigkeit für das Menschliche habe ich mich schon fast etwas gefürchtet etwas wissenschaftliches von Mitgutsch zu lesen. Jetzt nicht mehr! 🙂

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