Carl Laemmle - der jüdische Hollywood-Pionier aus Württemberg

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„Im Gesamtzusammenhang der rekonstruierbaren Fakten lassen sich Laemmles Auswanderungsmotive mit großer Wahrscheinlichkeit so rekonstruieren, dass er einerseits die nur bescheidenen beruflichen Aussichten mit den vermuteten Chancen in Amerika vergleicht, das zudem der Familie nicht ganz fremd ist und zusätzlich noch die Verlockungen einer den Jugendlichen faszinierenden Welt des Abenteuerlichen verspricht. So betrachtet fällt er auch aus der Typisierung heraus, die Hertzberg für die jüdischen Einwanderer Amerikas gibt. „Eine unglückliche europäische Vergangenheit“ Laemmles gibt es nicht, denn hiergegen spricht schon seine spätere Anhänglichkeit an seine Geburtsstadt.“

Dr. Udo Bayer, „Carl Laemmle und die Universal – eine transatlantische Biografie“, Verlag Königshausen & Neumann, 2013, ISBN 978-3-8260-5120-3.

Von dem hier die Rede ist, ist Carl Laemmle, 1867 in der oberschwäbischen Kleinstadt Laupheim geboren – einer, der sich 17jährig aufmacht, um in Amerika sein Glück zu machen, und wenige Jahre später mit anderen gemeinsam den Grundstein zur „Traumfabrik“ legt: Carl Laemmle gründete 1912 über die Universal Pictures diese Kunststadt namens Hollywood.

Laemmles Geschichte ist jedoch weit mehr als die einer besonders erfolgreichen Auswanderung. Seine Biographie ist auch ein wesentlicher Teil der Geschichte des Judentums in Oberschwaben und Bayern – von der Ansiedlung in den schwäbischen Gemeinden, in denen die jüdischen Familien mit beschränkten Rechten als „Fremdkörper“ ihre Existenz aufbauten (noch heute gibt es in Laemmles Geburtsstadt beim Standort der ehemaligen Synagoge einen „Judenberg“) über die langsame Assimilation, Integration und Emanzipation, bedingt vor allem durch den wirtschaftlichen Erfolg der jüdischen Gemeinden, über die Auswandungsbewegung ab den 1860er Jahren bis hin zum Holocaust. Laemmle, der seinem Geburtsort sein Leben lang verbunden blieb, ihn besuchte und finanziell als Mäzen auftrat – so stiftete er das Volksbad, gründete eine Armenstiftung und half durch zahlreiche Spenden – verhalf mehr als 300 Juden mit so genannten Affidavits zur Flucht aus Deutschland während des NS-Regimes. Ein Zeichen setzte er auch in seiner Arbeit: So produzierte er nicht nur Kassenschlager wie „Das Phantom der Oper“ oder den „Glöckner von Notre-Dame“, sondern (bzw. sein Sohn Julius) auch „Im Westen nichts Neues“ nach dem Roman von Erich Maria Remarque. Buch und Film – beides die Anti-Kriegsklassiker per se – wurden im Deutschen Reich verboten.

Lange blieb die Geschichte Laemmles auch in seiner Heimatstadt verborgen. Engagierte Bürgerinnen und Bürger widmen sich dort seit Jahren der Aufarbeitung des Schicksals der jüdischen Gemeinde, die im württembergischen Laupheim zeitweise eine der größten Gemeinden des Königreichs war. Sie geht auf einige jüdische Familien aus Illereichen und Buchau zurück, die 1724 durch Reichsfreiherr Anton v. Welden als Schutzjuden in Laupheim „zur Belebung des Laupheimer Markts” angesiedelt wurden.

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Gedenktafel am Geburtshaus in Laupheim, Landkreis Biberach a.d. Riß

Auch Dr. Udo Bayer, Gymnasiallehrer im Ruhestand, widmet sich seit Jahren der Erforschung dieses Aspekts der Lokalgeschichte. Seit 1988 recherchierte er insbesondere zum Leben Carl Laemmles – akribisch und mit hohem Aufwand. Denn von Laemmle selbst sind nur wenige Zeugnisse erhalten, zudem gab es bislang nur eine als Auftragsarbeit 1931 verfasste Biographie des Filmmoguls mit Wurzeln im Schwabenland. Mit seinem Buch schließt Dr. Bayer eine Lücke – in der Filmgeschichte und der jüdischen Geschichte. Bayer zeichnet ebenso den auf tragische Weise parallel einhergehenden Niedergang nach – die Universal Pictures kommen in finanzielle Schwierigkeiten just zu jener Zeit, als Laemmle in der alten Heimat mehr und mehr zur persona non grata, zum „Filmjuden“ gebrandmarkt wird. Durch die Weltwirtschaftskrise ins Strudeln geraten, muss Laemmle 1936 sein Unternehmen verkaufen. 1939 stirbt er an einem Herzinfarkt in seiner Villa in Beverly Hills.

In Laupheim wird die erst seit 1927 so getaufte Carl-Laemmle-Straße 1933 wieder umbenannt – nichts darf an den früheren Gönner und Wohltäter der Stadt erinnern. Noch in den 90erJahren löst der Vorschlag, das örtliche Gymnasium nach dem berühmtesten Sohn der Stadt zu nennen, hitzige Debatten aus. Heute gibt es in Laupheim Museum zur Geschichte von Christen und Juden (ein Zweig des Haus der Geschichte Baden-Württembergs), eine Abteilung ist Carl Laemmle gewidmet. www.museum-laupheim.de

Unweit davon ist der jüdische Friedhof zu finden (die Synagoge wurde in der so genannten „Reichskristallnacht“ abgebrannt). An den Grabstätten zeigt sich die enge Verflechtung der jüdischen Familien in Laupheim, auch zu den anderen schwäbischen Gemeinden – so sind hier auch Gedenken an die Verwandten des gebürtigen Ulmers Albert Einstein zu finden. Einstein und Laemmle – zwei Schwaben in Amerika, die dort bei Begegnungen ihr „Schwäbisch“ pflegten (siehe: http://saetzeundschaetze.com/2013/11/13/albert-einstein-und-carl-laemmle-im-gesprach/).

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Jüdischer Friedhof in Laupheim. Bild: Michael Böllinger

Eine der vielen tragischen Geschichten dieser Zeit erzählen auf diesem Friedhof drei Grabsteine, die durch ihre Nähe zueinander auffallen. Sie sind mehr noch als spätere cineastische Erzeugnisse der Traumfabrik zur Shoah für mich ein Sinnbild für den bestialischen Wahnsinn dieser Zeit.

Es ist die Geschichte der Schwestern Sally, Jette und Therese Kirschbaum. Die hochbetagten Schwestern, die ohne weitere Verwandte in Laupheim verblieben und unter den letzten Überlebenden der jüdischen Gemeinde waren, wählten angesichts der drohenden Deportierung den Freitod.

Unter http://steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?sel=lau&inv=388 findet man nur folgende Auskunft: „Die drei betagten Schwestern, Betreiberinnen einer kleinen Gemischtwarenhandlung, wählten an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Freitod, nachdem sie ihres Heimes verwiesen und in Baracken zwangsumgesiedelt wurden. Sie sind unter den Laupheimer Opfern der Nationalsozialisten verzeichnet.“

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 flohen 126 von 235 jüdischen Einwohnern ins Ausland, die meisten von ihnen nach der sogenannten Reichspogromnacht im November 1938. In dieser Nacht wurde auch die Laupheimer Synagoge in Brand gesteckt. Im folgenden Jahr wurden die noch verbliebenen jüdischen Bürger innerhalb von Laupheim in das Barackenlager Wendelinsgrube zwangsumgesiedelt und in den Jahren 1941 und 1942 schließlich in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Nach dem letzten von vier Transporten am 19. August 1942 hörte die jüdische Gemeinde in Laupheim auf zu existieren.

Soweit man weiß, haben nur zwei Mitglieder der einstmals blühenden jüdischen Gemeinde den Nationalsozialismus überlebt. Umso wichtiger das Engagement von Menschen wie Dr. Udo Bayer, die die Erinnerung wachhalten.

7 Gedanken zu “Carl Laemmle - der jüdische Hollywood-Pionier aus Württemberg

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