#MeinKlassiker (18): Mit der Glasglocke fand Jana Issel Zugang zu Klassikern

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Grab von Sylvia Plath in Heptonstall. Bild: Jprw via Wikimedia Commons

Auf ihrem Blog „Wissenstagebuch“ bietet Jana Issel „eine Gabel für die Suppe der Weisheit“. Ich bin erst vor kurzem auf ihren Blog gestoßen und löffle seither die Suppe gerne mit: Jana schreibt über die Lektüren, die ihr begegnen - nicht an Neuerscheinungen orientiert, nicht am Mainstream. Mir macht es viel Freude, im Wissenstagebuch zu blättern - ich stoße da auf viele mir unbekannte Bücher, aber auch auf Besprechungen, die mich an Gelesenes erinnern und Lust machen, wieder mal in den Tiefen des eigenen Regals zu stöbern. Für die Reihe #MeinKlassiker hat sich Jana Issel ein Roman herausgepickt, der seit seinem Erscheinen seine Leser intensiv zu berühren vermag:

 

„Die Glasglocke“ las ich zum ersten Mal im Alter von neunzehn Jahren. Genauso alt wie die Protagonistin, wenn auch bedeutend weniger verzweifelt. Immer wieder war mir der Titel begegnet: In vielen Filmen und Serien liest die junge nachdenkliche Frau Sylvia Plaths einzigen Roman. Ich meine, ihn sogar einmal in der Hand von Lisa Simpson gesehen zu haben.

Jung, vermeintlich nachdenklich und sowieso schon hoffnungslos an das Lesen verloren – da kam „Die Glasglocke“ genau richtig. Einige Zeit zuvor hatte ich Salingers „Der Fänger im Roggen“ gelesen und konnte nicht umhin, Parallelen zu entdecken. „Die Glasglocke“ aus weiblicher Perspektive hat mir damals mehr zugesagt, beide Bücher fand ich aber großartig. Sylvia Plaths Roman um die junge, schriftstellerisch ambitionierte Esther Greenwood, die mit den strengen Konventionen der US-amerikanischen 50er kämpft und dabei in einem Strudel aus Depressionen versinkt, hat mich fasziniert. Er hat mich zum ersten Mal dazu veranlasst, dem Leben eines Autors nachzuforschen. Im Anschluss an die Lektüre besorgte ich mir eine Plath-Biographie und verfolge noch heute jede Nachricht, die nach dem Suizid der Autorin durch die Medien geistert, mit Interesse.

Das Buch hat mich auch leichter Zugang zu anderen Klassikern finden lassen. Nachdem ich Dostojewskis „Schuld und Sühne“ einige Jahre zuvor mehr resignierend zur Kenntnis genommen als genossen hatte, zeigte mir Plaths Roman, dass „Klassiker“ sich, genauso wie andere Bücher auch, durchaus unterscheiden, einige tatsächlich schwierig zu lesen sind, herausfordernd, andere wiederum seichter, entspannter. „Die Glasglocke“ hat da das Tor zur Klassikerwelt endgültig aufgestoßen und gezeigt, dass hier eine Auswahl nach persönlichem Geschmack und auch Lebensalter nicht schaden kann. Ein guter Einstieg also.

Der Roman selbst lässt den Leser nicht kalt. Man will Esther Greenwood manchmal schütteln, manchmal in den Arm nehmen. Ihr sagen, sie solle nicht so hysterisch sein, ihr aber auch Zuspruch geben und die gesellschaftlichen Normen, in denen sie feststeckt, die sie einengen, sie einzig und allein in die Küche zu verbannen versuchen, verdammen. Einiges kann man nachvollziehen, einiges erlebt man als Mädchen vielleicht gar selbst, wenn auch in abgeschwächter Form. Der autobiographische Einschlag der „Glasglocke“ ist unverkennbar und beide – das Schicksal Plaths als auch das ihrer Figur Esther – haben mich berührt. Die Protagonistin hat in jedem Fall einen Sympathiebonus: Was kommt besser an beim bibliophilen Leser als jemand, der um jeden Preis schreiben will?

Gerhard Emmer hat in seinem Beitrag zum Kuckucksnest hinsichtlich Salingers „Fänger im Roggen“ angemerkt, das Buch funktioniere nur in der Adoleszenz. Ob das auf „Die Glasglocke“ ebenfalls zutrifft, ist vermutlich eine Geschmacksfrage des der Adoleszenz entwachsenen Lesers. Esther Greenwoods Gefühlswelt mag auf den erwachsenen Leser tatsächlich übertrieben emotional wirken, ja geradezu von einem zu Tode betrübten Grundton geprägt sein. Vielleicht möchte man ihr sagen: Mädchen, warte ab, das wächst sich raus. Dementgegen steht, wie ich finde, die Lebensgeschichte der Autorin selbst, die man nicht umhin kommt, in Betracht zu ziehen. Das wächst sich eben nicht raus, sondern kann, wie in Plaths Fall, gar tragisch enden. Ob die Geschichte auch in der Hand eines erwachsenen Mannes wirkt, nun, da heißt es wohl, Erfahrungsberichte abzuwarten.

Seit meiner eigenen Lektüre habe ich das Buch unzählige Male empfohlen und einmal – passender- vielleicht auch unpassenderweise – zu einem neunzehnten Geburtstag verschenkt. Ich wünsche ihm noch viele junge und alte Leser jeden Geschlechts.

Jana Issel
https://wissenstagebuch.wordpress.com/

 

Verfasst von

Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

14 thoughts on “#MeinKlassiker (18): Mit der Glasglocke fand Jana Issel Zugang zu Klassikern

  1. Ich glaube ja tatsächlich, dass Bücher nicht per se in der oder jener Lebensphase „funktionieren“ - das kommt auch hier auf den Lesenden, die Lesende an … aber sicherlich hat solch ein Klassiker - im übrigen danke für diesen wunderbaren Beitrag, den Blog werde ich mir merken😉 - nachhaltigen Eindruck hinterlassen und deshalb ist die Frage, ob Bücher nur im bestimmten Lebensphasen funktionieren letztlich einerlei. Wie man hier sehr schön sieht, hinterlassen sie ihre Spuren und das ist das einzige was zählt😉

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  2. Die Glasglocke verdeutlicht mir, wie unterschiedlich man Bücher auch in seinen div. Lebensphasen begreifen bzw. lesen kann. Dieses Zitat aus der Neuübersetzung hat mich daran erinnert, wie schrecklich ich die Unentschlossenheit Esthers fand, als ich den Roman mit ca. 15/16 das erste Mal las:
    „Ich sah mich in der Gabel dieses Feigenbaumes sitzen und verhungern, bloß weil ich mich nicht entscheiden konnte, welche Feige ich nehmen sollte. Ich wollte sie alle, aber eine von ihnen nehmen bedeutete, alle anderen verlieren, und während ich dasaß, unfähig, mich zu entscheiden, begannen die Feigen zu schrumpfen und schwarz zu werden und plumpsten eine nach der anderen auf den Boden unter mir.“
    Ich konnte diese Zögerlichkeit, die Unzufriedenheit von ihr, eigentlich nicht begreifen, ich wollte sie rütteln und sagen: Du musst doch nur zugreifen, du musst einfach Mut haben.
    Dann las ich den Roman zehn, fünfzehn Jahre später und sah ihn mit ganz anderen Augen - ich hatte in der Zwischenzeit auch beruflich Menschen erlebt, die an Depressionen litten, vielleicht einfach auch mehr Empathie für andere wie man sie als selbstzentrierter Teenager hat. Und jetzt, nochmals ein paar Jährchen später, kann ich den Roman auch lesen und einfach nur die stilistische und sprachliche Arbeit von Sylvia Plath bewundern.

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      1. ja! Aber bitte habt ein wenig Geduld mit mir! In diesem Jahr werde ich nicht mehr dazu kommen, es zu lesen. (Was ich an dieser Jahrezeit gerade mag, ist auch, dass ich das jetzt so schreiben kann: „in diesem Jahr schaffe ich es nicht mehr“.

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